Interview mit Franziska Schutzbach, Juni 2020

Am 14. Juni jährt sich der Frauen*streik 2019. Welche Forderungen stehen mit Blick auf Corona im Jahr 2020 im Zentrum?
Der Frauenstreik hat die Öffentlichkeit für Geschlechterthemen sensibilisiert. Dank dem 14. Juni 2019 werden diese Themen in der aktuellen Krise ernst genommen. So wurde beispielsweise die Gefahr, dass häusliche Gewalt während des Lockdowns zunehmen könnte, schnell erkannt. Auch die gesellschaftliche Bedeutung der Sorge- und Pflegearbeit oder der Umstand, dass Frauen öfter im Niedriglohnsektor arbeiten und somit von einer Krise härter getroffen werden, wurde thematisiert.
Der Frauenstreik hat Forderungen gestellt, etwa dass der bezahlten und der nicht bezahlten Care-Arbeit mehr Relevanz zugesprochen wird. Dazu gehört, dass es bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern oder Kitas braucht oder dass die im Privaten geleistete Sorgearbeit in den Sozialversicherungen angerechnet wird. Diese Forderungen sind hochaktuell, da in der Krise deutlich wird: Die Sorge füreinander bildet die Basis für menschliche Gemeinschaften.


Während des Corona-Lockdowns mussten sich Eltern mit Kindern komplett neu organisieren. Kann diese herausfordernde Zeit mit Homeoffice, Homeschooling und Betreuungsengpässen auch eine Chance sein um «Arbeit» neu zu denken?
Da bin ich vorsichtig. Für viele war diese Zeit sehr fordernd. Viele Jobs kann man gar nicht von Zuhause aus machen. Wir müssen vermeiden, Arbeitsmodelle zu idealisieren, bei denen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verwischen. Homeoffice mag für manche attraktiv sein. Für die Mehrheit ist aber wichtig, dass Erwerbsarbeit klare Zeiten hat. Zudem wurde das Homeoffice für viele Männer möglich, weil Frauen die Care-Arbeit aufgefangen und fehlende Institutionen ersetzt haben. Daraus dürfen wir auf keinen Fall schliessen, dass es keine institutionelle Betreuung von Kindern braucht. Im Gegenteil.
Der Fokus auf die Familie mag für einige schön und entschleunigend sein. Für viele Menschen ist das Zuhause aber kein Ort zum Arbeiten oder um sich zu erholen. Insbesondere für Familien, die in beengten Verhältnissen und nicht selten von Gewalt und Konflikten geprägt leben. Damit das Konzept Familie funktioniert, braucht es entsprechend viel Unterstützung und Angebote ausserhalb der Familie.


Besteht aufgrund der Corona-Epidemie und deren Folgen die Gefahr für einen «Backlash» gleichstellungspolitischer Anliegen wie die Elternzeit? Wenn ja, warum?
Ein Backlash ist bereits zu beobachten. Viele Frauen haben zuhause mehr übernommen, waren gleichzeitig weiter erwerbstätig oder mussten beruflich zurückstecken. Viele arbeiten in Teilzeit oder als Selbständige, und plötzlich war für manche Familien das Einkommen des Mannes wieder wichtiger. Weil Männer häufig mehr verdienen oder Vollzeit arbeiten, ist es in der Krise durchaus rational, die männliche Erwerbstätigkeit zu priorisieren.

Historisch betrachtet besteht während Krisen immer die Gefahr, dass Ungleichheit – geschlechtliche, aber auch soziale – wieder zunimmt. Oder dass bei der Gleichstellung gespart wird. Gleichstellungsanliegen werden in Krisen zu «Luxusproblemen» degradiert. Das darf keinesfalls passieren. Denn eine Gesellschaft, die nicht in die Gleichstellung investiert, erfüllt ihre demokratische Pflicht nicht.

Wenn feministische Anliegen und Gleichstellungsprozesse zum Erliegen kommen, weil aufreibende Jobsituationen und die Haushaltführung Frauen in der Krise wieder rundum beanspruchen, dann verlieren wir wichtige Antriebskräfte für gesellschaftliche Fortschritte.

Franziska Schutzbach ist Soziologin und Geschlechterforscherin. Sie ist Mitglied der Gleichstellungskommission Basel-Stadt.

Basel, im Juni 2020